Die Stadt Chemnitz lockte vor einigen Jahren eine meiner Freundinnen mit der Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz und einem – pre-Pandemie – angenehmen Mietspiegel. Zwei Male zuvor reiste ich über 500+ km für die Museumsnacht an: 2016 und 2018.
Seitdem ist die Erwartung an das Event gestiegen, denn das diesjährige Thema „The Unseen – das Ungesehene“ greift das Motto “C the Unseen” auf, dank dessen sich Chemnitz ab 2025 zu den Kulturhauptstädten Europas zählen darf. In der Museumsnacht 2022 wird somit an 25 Standorten die bisher ungesehene Vielfalt an Informationen und Beständen zugänglich gemacht, die bisher so noch nicht im Vordergrund stand. Alleine der Gedanke zu sehen, auf welchen Besonderheiten schwärmende Mitarbeitende seit Jahren sitzen, begeistert mich.


Unser Plan umfasste zum größten Teil Standorte, die wir bei den letzten Gelegenheiten nicht geschafft haben zu besuchen. Letztendlich haben wir fünf von 19 Stempelfeldern füllen können. Da das Museum für Naturkunde Chemnitz im Kulturzentrum DAStietz liegt und eine weitere Außenstelle hat, gab es für Feld 7 gleich zwei Stempel. Die Standorte 9 bis 19 lagen fernab vom Stadtzentrum, weshalb wir uns entschlossen die Museumsnacht im 30 Minuten entfernten Braunsdorf in der Gemeinde Niederwiesa zu beginnen.
In der Schauweberei Braunsdorf wurden historische Webstühle vorgeführt und Muster der ehemaligen Weberei Tannenhauer präsentiert. Die beinahe 3.000 Stücke aus dem Musterarchiv entstanden zwischen 1883 bis 1990. Schärbriefe, Lochkarten, Stoffproben: einige der Endprodukte landeten in Schlössern deutschlandweit.


Danach ging es zum Stadtteil Sonnenberg zur Außenstelle des Museums für Naturkunde Chemnitz. Auf dem Weg dorthin folgte man gemeinsam mit fremden Familien und Interessenten den bunten Hinweisen, die auf dem Asphalt gesprüht wurden. Passend wurde uns bei der Ankunft die Kinderrallye angeboten, welche Erinnerungen zur Schulzeit aufkommen ließ. Die Fragen bereiteten auf das Grabungszelt vor. Bei der Grabungsstelle handelt es sich um das Projekt „Fenster in die Erdgeschichte“, das Funde eines Regenwaldes freilegt, der vor 290+ Millionen Jahren an diesem Ort durch einen Vulkanausbruch begraben wurde. Über die Fossilfunde und weiteren spannenden Details zum Steinernden Wald informiert zudem auch das Grabungsteam im Internet. Einige von ihnen waren an jenem Abend vor Ort mit der Schau-Präparation zugange und ermöglichten den Einblick in das „Pompeij des Perms“ – der prägende Titel für Chemnitz aus paläontologischer Hinsicht. Als während der Vorführung dann auch noch Querschnitte von fossilen Farnen herumgereicht wurden, stand für mich die erste prägende Erinnerung an die Eventnacht fest. Meine Affinität für die Gefäßsporenpflanzen wurde auch außerhalb des Zeltes mit einer bepflanzten Wand erfreut.


Im Anschluss ging es unmittelbar zum Naturkundemuseum, das sich im Kulturzentrum DAStietz befindet. Eine Informationstafel erinnert vor Ort an die Geschichte des ehemaligen Warenhauses. Die fortlaufende Bezeichnung für das Gebäude würdigt bis heute den Namen der Familie Tietz, die während der NS-Diktatur mitsamt des Kaufhauses enteignet wurde. Zur Folge dessen bildete sich die Hertie GmbH (Hermann Tietz), dessen letzte Filialen nach der Übernahme Karstadts in 2009 schließen mussten. In diesen Chemnitzer Räumlichkeiten befinden sich seit 2004 Begegnungsräume für die Bereiche Bildung, Kunst, Kultur. Hier sitzen nicht nur das Museum für Naturkunde (inkl. Insektarium), sondern auch die VHS, die Stadtbibliothek, die Städtische Musikschule, das Kulturmanagement Chemnitz‘ und mehr. Auf dem Vorplatz begleitete ein musikalisches Bühnenprogramm das gastronomische Angebot. Dort wurden an dem angenehmen Frühlingsabend die ersten Jacken rausgeholt, während ein Vollmond beinahe unbemerkt und langsam über den noch hellen Himmel schlich.


Die nächste Anlaufstelle hat zweifellos mein Herz geraubt: das smac – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz. Auch hier handelt es sich um ein ehemaliges Kaufhaus, das die Nationalsozialisten 1938 an sich nahmen. Das Café gedenkt mit der Namensgebung dem ehemaligen Kaufhauskonzern Schocken. Eine Dauerausstellung in den Erkern hält die vergangene Geschichte zur NS-Zeit fest. Seit 2014 präsentiert die restliche Dauerausstellung auf 3.000 Quadratmetern archäologische Funde aus den vergangenen 300.000 Jahren Sachsens. Die Position als staatliches Museum lässt sich spätestens an der Kasse erkennen. Der Eintritt zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten ist für alle unter 16 Jahren frei. Außerdem weisen Leitsysteme, taktile Stationen und Halterungen für Blindenstöcke auf die finanziellen Kapazitäten hin, die das smac als Museum für Alle zugänglich macht. Die Beratung dazu führte schweizergestaltung durch. Während es einige DGS Führungen durch die Daueraustellung gab, überbrückten wir unsere Wartezeit für eine andere Führung in der Sonderausstellung Chic!. Leider war die Nachfrage sehr hoch und einige wurden darum gebeten das Angebot doch nicht wahrzunehmen. Somit setzen wir spontan unseren Besuch in der Sonderausstellung fort.


Nachdem wir zwei Male zuvor es nicht geschafft haben die Villa Esche (Henry van de Velde Museum) zu besuchen, haben wir dies zum letzten Ausflug eingeplant. Nach zehn Minuten Fahrt war auch hier erforderlich sich unausgesprochen an Fremden zu orientieren, die mit schnellen Schritten – hoffentlich – zu demselben Ziel laufen. Mittlerweile war es so dunkel, dass man beinahe am mit Pusteblumen bedecktem Vorgarten vorbeigelaufen wäre. Trotz dieser späten Stunde begegnete man in jedem Zimmer noch motivierte Mitarbeitende, die ihr Wissen zu der Einrichtung vermittelten und auf die kleinen Details und Entwicklungen im Haus aufmerksam machten. Bislang blieb ich mit meine Begeisterung für Art Nouveau und Architektur in verschiedenen Bauten Deutschlands unbegleitet. Es war sehr schön diesmal mitzuerleben, welche Faszination es auch bei Anderen auslösen kann, und dies voller Enthusiasmus weitergegeben wird.
Erst zum Heimweg kam zur Sprache, dass ein Standort nicht mehr aufgelistet ist, dessen hohes Interesse in 2018 zu langen Wartezeiten verpflichtete: die ehemalige Haftanstalt auf dem Kaßberg. In diesem Jahr befindet sich das Gefängnis in einer 3,8 Millionen Euro schweren Umbauphase zum „Lern- und Gedenkortes„. Die Finanzierung gelingt durch die Fördertöpfe des Bundes, den Freistaat Sachsen und der Stadt Chemnitz. Die anderen Bauten der Gedenkstätten sind mittlerweile an einen Investor verkauft worden, der diese zu Wohnungen umbaut. Doch nicht nur dort sind Dauerparkplätze von Baggern von nöten: erst kürzlich sprach ein Artikel von 400 Tiefbaustellen innerhalb von Chemnitz. Wer denkt, dass alles schon drei Jahre vor 2025 fertig ist, hat eine sehr optimistische Vorstellung vom Arbeitsalltag in der Stadtverwaltung. Wer es eher auf drei Jahre danach schätzt, hat hingegen ein realistisches Bild von dem Ablauf hinter den Kulissen.
Meine Erwartungen an das Kultur-Jahr bleiben weiterhin erhalten und ich bin gespannt zu sehen wie viel bis dahin vollbracht ist. Die Auslastung der Stadtverwaltung scheint aus verlässlicher Quelle jedenfalls bereits ihre Grenzen zu erreichen. Insbesondere sind es doch gerade die raren Arbeitskräfte, die solche Ereignisse realisieren! Darüber hinaus: ob an den Stempelstationen, als Raum-Aufsicht, oder am FoH. Ihr Enthusiasmus, Engagement und Interesse prägen meine Erinnerungen an die Nacht der Museen. Ich hoffe sehr, dass Chemnitz sich nicht mit weiteren Plänen für 2025 überstürzt und wertschätzend mit den Menschen umgeht, die alles auf die Beine stellen. Denn ohne sie, bleibt der Schauplatz leer und das Ungesehene für Viele weiterhin verschollen.



